Interview Helmut Kohl - das Interview 1/6

Interview Helmut Kohl - das Interview 1/6

„Ich musste den Euro durchsetzen, gegen das Gerede zu Italien und Griechenland“ – das letzte große TV-Interview von Helmut Kohl.

Stolz auf den Euro, Abfälliges über Parteifreunde, Bekenntnisse zum Freitod von Ehefrau Hannelore – zum 85. Geburtstag von Helmut Kohl veröffentlichen der NDR und dbate.de große Teile eines viertägigen Interviews von 2003.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Eurokrise sind vor allem die bislang unveröffentlichten Aussagen des Altkanzlers zur Währungsunion aufschlussreich. Helmut Kohl sprach in dem Interview ausführlich darüber, wie er sich bei der Einführung des Euro über die Warnungen von Wirtschaftswissenschaftlern hinwegsetzte. Wörtlich sagte er: „Ich musste es durchsetzen… Es gab damals ja Gerede, eine Währung, in der Italiener und Griechen dabei sind, kann niemals eine ordentliche Währung werden.“ Und: „Eine Volksabstimmung über die Einführung des Euro hätten wir verloren.“

Das Interview wurde von den Autoren Stephan Lamby und Michael Rutz an vier Tagen im Frühjahr und Herbst 2003 in Kohls Privathaus in Ludwigshafen-Oggersheim geführt. Die beiden befragten den Altkanzler als unabhängige Journalisten, nicht als Ghostwriter. Einige Passagen des Interviews wurden damals bereits in der NDR/ARD-Dokumentation „Helmut Kohl – ein deutscher Kanzler“ gezeigt, der überwiegende Teil des Interviews ist jedoch bislang nie veröffentlicht worden. Sehr abfällig äußerte sich Helmut Kohl vor allem über die Parteifreunde, von denen er sich während der CDU-Parteispendenaffäre schlecht behandelt fühlte. Norbert Blüm? „Der Mann ist mir völlig egal. Deswegen will ich überhaupt nicht seinen Namen in den Mund nehmen.“ Richard von Weizsäcker? „Mir fällt nichts mehr zu ihm ein. Überhaupt nichts“. Und Rita Süßmuth? „Alles, was sie wurde, wurde sie durch mich. Es gab immer wegen ihr Krach.“

Das ungewöhnlich umfangreiche Fernseh-Interview war jedoch weit mehr als eine Abrechnung. Helmut Kohl erzählte in bis dahin nicht bekannter Offenheit von seinem privaten und politischen Leben und berichtete dabei auch wenig bekannte Details zu seinem Aufstieg. Immer wieder hätten etwa Personen aus dem eigenen politischen Lager versucht, seine Wahl zum Bundeskanzler zu verhindern. Im Jahr 1979 sollte Helmut Kohl sogar weggelobt werden: „Franz Josef Strauß hat sich auf den Weg gemacht, um meine Kandidatur zu verhindern… Dann gab es eine ganz massive, kaum an die Öffentlichkeit geratene Welle der Unterstützung von wichtigen Leuten, ich solle Bundespräsident werden.“ Zu diesen „wichtigen Leuten“ gehörte, laut Kohl, auch der Verleger Axel Cässar Springer. Doch Helmut Kohl hielt an seinem Ziel, Bundeskanzler zu werden, eisern fest. Nach Kohls Darstellung haben kurz vor dem Regierungswechsel 1982 einflussreiche Kreise erneut versucht, seine Wahl zum Bundeskanzler zu verhindern: „Eine Reihe wesentlicher Repräsentanten des Bundesverbands der Deutschen Industrie traf sich mit einigen aus der FDP und waren sich einig, dass es eine Koalition von CDU/CSU und FDP geben müsse – aber nicht mit mir, weil ich zwar wirtschaftsfreundlich, aber nicht industriefreundlich sei.“ Der Kandidat seiner Gegner war, laut Kohl, der damalige CDU-Schatzmeister Walter Leiser Kiep. Ausführlich hat sich Helmut Kohl in dem Fernseh-Gespräch auch über den Freitod seiner Ehefrau Hannelore im Jahr 2001 geäußert. So sei ihm die Absicht seiner Frau, sich das Leben zu nehmen, bewusst gewesen: „Nicht der konkrete Moment. Aber wir haben ja darüber geredet. Dass sie darüber nachdachte, das wusste ich.“

Zum Schwerpunkt „Helmut Kohl“ zeigt dbate.de diese Woche:
INTERVIEW: „Hannelore Kohl – im Kanzlerbungalow“
TIPP:  „Walter Kohl – im Schatten des Vaters“ (making of)
INTERVIEW: Richard von Weizsäcker-Interview
INTERVIEW: Hans-Christian Ströbele-Interview

Mehr dbate-INTERVIEWS gibt´s hier.

 

 

Veröffentlicht am: 24.03.2015 in Interview

  • Pingback: dbate.de – Die neue Videoplattform. – Schwerpunkt: Helmut Kohl()

  • Rosi Karl

    Der u. Merkel war die grösste Scheisse was Deutschland passieren konnte

  • Detlef Schmidt

    Kohl mag viele Fehler gemacht haben aber er ist der größte Staatsmann Deutschland je gehabt hat. Ein einfacher Vergleich zwischen ihm und Schröder und Merkel macht es sehr deutlich. Wenn ich nur an Schröder und den Ex-Terrorist Fischer denke, kann ich nur eins sagen, das arme Deutschland du hast wirklich was Besseres verdient. Wir haben einen Bundespräsidenten der nicht in der Lage ist eine Grundsatzdebatte anzustoßen, richtungweisend zu wirken und die politische Bühne mit dem Altar nicht zu verwechseln. Wo ist Richard von Weizsäcker geblieben. Schade!

    • Mentor54

      Dass ich nicht lache! Die deutsche Wiedervereinigung ist Kohl wie ein reifer Apfel in den Schoß gefallen, weil Leute wie Willy Brandt, Lech Walesa, Michael Gorbatschow und viele andere die Vorarbeit geleistet hatten. Dazu kommt die verfrühte und übereilte Einführung des Euro, unter der wir heute zu leiden haben. Und glauben Sie bloß nicht, dass von Weizäcker und Kohl sich gut verstanden hätten. Von Gauck halte ich allerdings auch nichts, in dem Punkt gebe ich Ihnen recht.

  • Am 25.03.2015 von „Brucel Voss“ auf YouTube gepostet:

    Sehr interessant und wichtig. Danke für den Beitrag.

  • Am 25.03.2015 von „Voll Horst“ auf YouTube gepostet:

    Danke fürs Online-Stellen! Werde öfter mal reinschauen!

  • Mentor54

    Selbstgerecht, nachtragend, diffamierend: Helmut Kohl ist sich selbst treu geblieben, von Altersweisheit keine Spur.

  • am 06.04 von „sawmaniac“ auf YouTube gepostet:

    Richtig Herr Kohl, Harry S Truman war
    der beste Präsident der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert, das
    sehen die Menschen in Hiroshima und Nagasaki sicher genauso. .
    Wer braucht schon einen Kennedy, der die Welt vor einem Atomkrieg bewahrt hat…?

  • Am 30.04.2015 von „Max Gutbrod“ auf YouTube gepostet:

    Inhaltlich ist eigentlich nicht viel Neues zu hören. Trotzdem haben mich die Interviews aufgerührt. Kohl macht immerhin plausibel, dass er seinen Erfolg nicht vorher einrechnete, immer wieder dafür riskieren und kämpfen mußte. Es fällt auf, wie bemüht er zu Anfang wirkt (man stellt sich das berühmt-berüchtigte Interview mit Kempowski ähnlich vor), wie freudig er die frühen Erfahrungen in Rheinland-Pfalz erzählt und wie aggressiv er bei Fragen wird, die er nicht beantworten soll. Hätte er etwa ruhig gesagt, über Tod und Gesundheit meiner Frau, die Telefonate von und mit Herrn Blüm, Journalistenfragen des Typs „sind Sie glücklich“ und Versöhnungswünsche von ehemaligen Feinden mehr zu reden sei schmerzhaft bzw. nicht besonders inhaltsreich wäre er wohl noch deutlich besser weggekommen. Treibt ihn da seine jugendliche Kampflust oder treffen ihn die Ablehnungen tiefer als er zeigen will? Gerade wenn man sich aber zu Herzen nimmt, wie glatt Weiszäcker an den Leistungen von und Differenzen mit Kohl vorbeiredet hat man den Eindruck, die Partei- und Regierungsposition, die Kohl hatte, verschlinge fast alles Alltägliche, die Anstrengung, seine Position zu halten, habe ihn aufgefressen, gerade dabei und dadurch habe er alle anderen so weit überragt, dass sie verwirrt und wehmütig die Hände nach ihm ausstreckten und ausstrecken. So betrachtet ist die eigentliche Leistung Kohls weniger, die Einigung und den Euro betrieben, sondern beides durchgesetzt zu haben, die negative Konnotation, die die Bezeichnung „Netzwerker“ zu haben tendiert, falsch. Aus dieser Perspektive ist einerseits verwunderlich, was Kohl, bis hin zur Parteispendenaffäre, vorgeworfen wird: Ein Netzwerker neigt dazu, nicht immer allzu genau hinzuschauen. Dennoch ist die Vermutung unberechtigt, ein Vergehen sei ein Hinweis auf weitere, Mafia-ähnliche Kettenverbrechen: Das könnte er gegenüber dem Netzwerk, das ja per Definition lose ist, nicht durchsetzen, und, um in seinem Netzwerk, das ihn ebenso bestaunt wie kritisch beäugt, weiter der Häuptling bleiben zu können waren Wiedergutmachungsanstrengen der Art, wie er sie für den Ersatz der Spenden unternommen hat, naheliegend. Andererseits ist erstaunlich, wie ungelenk Kohl eben gerade das verteidigt, was der dem Netzwerk aufgezwungen hat: Für den Euro findet er zwar grosse Bewertungen, an Begründung aber nur, dass sich Kinder an ihn schon gewohnt hätten. Das ist gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise, die die Verantwortlichen in eine Merkel-bräsige Abfolge von Krisengipfeln zum Weiternetzwerken im Sinne der Zusammenarbeit zwingt, sehr kurz gedacht. Insgesamt bleibt der erschreckende Eindruck, dass die Kombination an Handlungsbereitschaft und Netzwerkerfähigkeiten für Politik heute erforderlich ist, aber mehr als üblicherweise Menschenmögliches verlangt.
    Gut, ich hätte noch einige weiteren Fragen gehabt, z. B. nach Kohls Religiosität, der Selbstdemontage der nach Kohl’schen, rheinland-pfälzischen CDU und nach Charakterstrukturen der deutschen politischen Freunde. Jedenfalls hätte so viel kaum anders als mit so viel Geduld und mit den Interviews darlegen können, für die ich mich hiermit bedanke.

  • Am 29.08.2015 von „broiler33 boiler33“ auf YouTube gepostet:

    Also wenn es einen Bundeskanzler gab dem sein Bild in der Geschichte am Meisten bedeutet hat dann Helmut Kohl

  • Am 17.11.2015 von „Damordas VBh Shepard“ auf Facebook gepostet:
    Würde Herr Kohl noch an der macht sein …hätte DE (EU) diese probleme jetzt nicht was wir jetzt durch die Parlament Besetzung haben

  • Am 17.01.2016 von „Marku k“ auf YouTube gepostet:
    sehr sympathischer Mensch!

  • Am 01.02.2016 von „mark adams“ auf YouTube gepostet:

    hab ihn nie gewählt,dennoch habe ich grossen respekt vor seiner langjährigen diziplin als parteivorzitzender u bundeskanzler!ausserdem tut seine stimme u sein dialekt gut!^^

  • Pingback: dbate – Interviews mit Hemut Kohl | dokustreams.de()

  • Am 09.02.2016 von „Gordon Gekko“ auf YouTube gepostet:

    Kein Sympathieträger, aber ein Mann der einen großen Platz in der deutschen Geschichte hat und haben wird. Er ist größer als Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Schröder und wesentlich größer als die verrückt gewordene Merkel. Nur Adenauer hat bisher einen größeren Abdruck in der bundesdeutschen Geschichte hinterlassen. Ihm gehört Respekt für seine überragende Lebensleistung. 16 Jahre lang dieses extrem anstrengende Amt auszufüllen ist sagenhaft.

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