Interview Silvesternacht in Köln: Protokoll einer Betroffenen
Interview Silvesternacht in Köln: Protokoll einer Betroffenen
„Hätte ich auf dem Boden gelegen, wären mir selbst noch die Schuhe von den Füßen geklaut worden“, sagt Sabrina F. Als Frau wurde man wie „ein Fleischstück durch die Gegend geschubst“. Die junge Frau aus Osnabrück ist Opfer von Übergriffen in der Kölner Silvesternacht geworden. Jener Nacht, die zu einer Zäsur in der Debatte um Flüchtlinge und der ‚Willkommenskultur‘ geführt hat; jener Nacht, die einen tiefen Riss in der Gesellschaft hinterlassen hat – und die, weit über die Stadtgrenze hinaus, Köln zu unrühmlicher Popularität verhalf.
Sabrina F. kommt mit ihren Freunden am Abend des 30.12.2015 am Kölner Hauptbahnhof an. Als sie zusammen den Hauptbahnhof verlassen und den Domplatz erreichen, ist es bereits sehr beengt. In der Menschenmasse kommt es zu den ersten Vorfällen. Hier und da spürt Sabrina eine Hand an ihrem Körper. Plötzlich ist ihr Handy weg. Als ihr jemand in den Oberschenkel kneift, begreift Sabrina, dass das keine normale Menschenmasse ist, wie man sie aus einer gut besuchten Disko kennt. Die Clique verliert sich schnell in dem unübersichtlichen Gewusel von Männern. Irgendwann hört Sabrina ihre Freundin schreien. Ihr selbst wird die Hose zerrissen. Mitten hinein in die Hilflosigkeit platzt die Wut, später wird Sabrina das Gefühl haben, beschmutzt worden zu sein. Die vielen Hände am ganzen Körper hinterlassen nicht nur blaue Flecken: unter der Haut liegt auch Scham – für die Vergehen der Täter.
Silvesternacht in Köln: keine Gerechtigkeit für die Opfer
Am nächsten Morgen erstattet Sabrina F. Anzeige bei der Polizei. Von sexueller Belästigung will man dort zunächst nichts wissen. Auch ein riesiges Hämatom an der Innenseite des Oberschenkels wird heruntergespielt. Das müsse Trickdiebstahl gewesen sein. Sabrina ist fassungslos. Im Interview spricht sie über die Nacht, die jetzt fast ein Jahr zurückliegt – und die Deutschland, bis heute, verändert hat. „Ich werde mein Leben lang Probleme mit großen Menschenmassen haben“, sagt Sabrina F. Auf Gerechtigkeit hofft sie nicht: Die Staatsanwaltschaft konnte bisher 58 Ermittlungsverfahren einleiten, die sich gegen 83 Beschuldigte richten. Bisher sind gegen sechs von ihnen Urteile ergangen. Fast alle Täter kommen davon.
Veröffentlicht am: 22.12.2016 in Interview
Related Videos

"Gib' deinen deutschen Pass ab"
"Leute, packt doch einfach eure Klamotten und geht nach Hause". Viele Menschen wenden sich gegen Flüchtlinge oder gegen Ausländer allgemein. Was sagt ein Mann, der selbst einst aus dem Kongo nach Deutschland kam?

Abschiebegesetz verschärfen - Ja/Nein?
Nach der Neujahrsnacht mit über 150 Anzeigen wegen Diebstahls und sexueller Übergriffe in mehreren deutschen Städten diskutieren Presse und Politiker über die Vorfälle und fordern teils harte Konsequenzen. "Junge Männer aus Nordafrika" und "arabisch aussehende" Männer seien für die Übergriffe verantwortlich, hieß es von der Kölner Polizei. Bleibt die Frage: Waren tatsächlich Flüchtlinge? Und wenn ja, wie sollte man dann mit den Straftätern umgehen?

Bornheim: Wenn Demokratie baden geht
Michael Weilandt hält nicht viel von dem Vorstoß des Sozialdezernats in Bornheim. Trotzdem äußert er Bedenken im Hinblick auf die Freibad-Saison. Im Skype-Talk mit Denise Jacobs spricht er über die Maßnahmen der Deutschen Gesellschaft für Badewesen und darüber, ob durch das Verbot in Bornheim tatsächlich Frauen geschützt werden - oder vielmehr Zuwanderer diffamiert werden.

Frauen auf der Reeperbahn: Angst nach Silvesternacht?
Es ist Samstagabend. Auf dem Hamburger Kiez tobt wie jedes Wochenende das Leben. Gut gelauntes Feiervolk ist unterwegs – Männer und Frauen. Alles wie immer, könnte man meinen – wären da nicht die zahlreichen Polizisten zwischen den neonlichtwütigen Nachtschwärmern. Nach der Silvesternacht mit zahlreichen (sexuellen) Übergriffen hat die Polizei ihre Präsenz deutlich erhöht. Und sie hat allen Grund dazu. Knapp 200 Strafanzeigen sind bislang bei der Hamburger Polizei eingegangen. Mittlerweile sollen einige Täter identifiziert worden sein. Doch mildert das die Gefahrenlage für Frauen? Wie fühlen sie sich knapp zwei Wochen nach der folgenreichen Neujahrsnacht auf dem Kiez? Welche Reaktion erwarten sie jetzt von der Politik? Oder ist die Angst dem obligatorischen Weekend-Feeling gewichen? Anica Beuerbach und Philine Meyer haben sich für dbate.de auf der "sündigsten Meile Deutschlands" umgehört.

Nach Silvesternacht: Wir führen die falsche Diskussion!
Welche Rolle spielt die Herkunft der vermeintlichen Täter? Keine – vor allem für die Opfer, so die Journalistin Simone Rafael. Die Leiterin des Internetportals Netz-Gegen-Nazis ist besorgt über die emotionale Verknüpfung diverser Debatten.

Kölner Hauptbahnhof: Übergriffe an Silvester
Vor dem Kölner Bahnhof herrschte am Silvesterabend ein lautstarkes Chaos: mit Feuerwerkskörpern „bekriegten“ sich mehrere Gruppen an der Domtreppe. Das Amateurvideo zeigt die Unruhen am Kölner Bahnhofsplatz. Mehrere Gruppen zünden unkontrolliert Rakten und Feuerwerkskörper in die Menschenmengen.

Serge Menga fordert: "Redet Klartext!"
"Leute, packt doch einfach eure Klamotten und geht nach Hause." Für kriminelle Ausländer hat der gebürtige Kongolese Serge Nathan Dash Menga kein Verständnis. Sein Video-Appell wurde mittlerweile über fünf Millionen Mal aufgerufen. Und nicht nur das: Vizekanzler und SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat ihn zu einem Treffen eingeladen. Wie kann erfolgreiche Integration gelingen? Skype-Talk mit einem Mann, der immer noch wütend ist.

Sexuelle Übergriffe: Haben Polizei und Medien versagt?
"Ich habe Zweifel, ob uns die Polizei wahrhaftig informiert," Peter Pauls, Chefredakteur Kölner Stadtanzeiger, über die Silvesternacht und Vorwürfe gegen Polizei und Medien.
Mehr Videos aus dem Bereich Interview

Interview mit Virginia Chan zum Corona-Virus in Hongkong

Rechtsextremismus-Experte: „Der Pegida-Hype ist vorbei“
Zwei Jahre Pegida – wie steht es um die Protestbewegung? Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud analysiert im Interview die Lage von Pegida heute.

Warum haben manche Minderheiten Sonderrechte?
Wahlen in Deutschland: Warum haben manche Minderheiten Sonderrechte? Ein dbate-Interview mit Politikwissenschaftler Adrian Schaefer-Rolffs.

Peer Steinbrück über Steuerbetrug und Schweizer Banken
"Das Vorgehen Schweizer Banken hat die deutsche Souveränität verletzt" - ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück über Steuerbetrug, das Schweizer Bankensystem und ignorante Bankmanager...

Exoten bei der Bundestagswahl: Bündnis Grundeinkommen
Ein Grundeinkommen für alle – mit dieser Forderung zieht das „Bündnis Grundeinkommen“ in den Wahlkampf. Warum die Partei einzig und allein auf dieses Thema setzt, verrät die Bundesvorsitzende Susanne Wiest im Interview.

Interview: Als Arzt gegen Ebola in Westafrika
Tropenmediziner Stefan Schmiedel über seinen Ebola-Einsatz in Sierra Leone.