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Kurzer Prozess: Eine Frage und ihr Shitstorm

Nach dem Amoklauf in einem Zug bei Würzburg hinterfragt Renate Künast auf Twitter die Arbeit der Polizei – und erntet einen Shitstorm.

Nach einem Amoklauf in einem Zug bei Würzburg hinterfragt Renate Künast auf Twitter den finalen Rettungsschuss – und erntet einen Shitstorm. Zu Unrecht. Wonach man nicht fragen soll, darüber darf man erst recht nicht schweigen. Ein Kommentar von Denise Jacobs

Eine Frage, hundert Beleidigungen. Das Erste: ein neue Sau, die durchs digitale Dorf getrieben wird. Das Zweite: das eigentliche Skandalon. Im Zentrum der erregten Diskussion: die Grünen-Politikerin Renate Künast. Aber der Reihe nach: Bei Würzburg hat ein 17-jähriger Afghane in einem Regionalzug Reisende mit einer Axt angegriffen. Dabei verletzte er vier Menschen schwer und einen leicht. Zwei Opfer schweben noch in Lebensgefahr. Im Zimmer des Angreifers wurde laut Medienberichten eine handgemalte IS-Flagge gefunden. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das zufällig wegen eines anderen Einsatzes in der Nähe gewesen sei, habe die Verfolgung aufgenommen, berichtete der bayrische Innenminister Joachim Herrmann. Als der Jugendliche schließlich auch auf die Einsatzkräfte losgegangen sei, hätten sie das Feuer eröffnet. Der Angreifer wurde mit mehreren Schüssen getötet. In Politik und Wissenschaft wurde lange intensiv darüber diskutiert, ob die Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für ein solches Vorgehen zulässig und notwendig ist. Neben den Sorgen um die Verletzen dieser unsäglichen Tat, hat sich Frau Künast auch über die Notwendigkeit der Tötung des jugendlichen Täters Gedanken gemacht:

Prompt folgte ein Rüffel von dem Polizeipräsidium Oberbayern Süd, das Frau Künast in die Schranken (ihrer Satzzeichen) weist:

Der sogenannte finale Rettungsschuss ist die Ultima ratio, der letzte Lösungsweg. Und nicht erst seit dem ‚Gladbecker Geiseldrama‘ (1989) stellt sich das Problem der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. Im Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei heißt es in Art. 66, Abs. 2: „Schusswaffen dürfen gegen Personen nur gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.

Der Begriff finaler Rettungsschuss irritiert nicht nur den geneigten Ethik-Studenten. Müsste man die Ausführung nicht finalen Todesschuss nennen? Jenseits vom Streit um begriffliche Spitzfindigkeiten, ist die Frage völlig berechtigt, ob, und das trifft den Kern von Renate Künasts Tweet, die tödlichen Schüsse tatsächlich der letzte Lösungsweg waren. Diese Frage darf und muss sich die Polizei und auch die Deutsche Polizeigewerkschaft gefallen lassen. Nicht zuletzt ermittelt in solchen Fällen das Landeskriminalamt. Ein üblicher Vorgang – der jene Fragen (und das sind sicher mehr als vier) klärt, die sich durch diesen gewichtigen polizeilichen Entschluss notwendigerweise ergeben. Gerade die kritische Auseinandersetzung mit dem finalen Rettungsschuss schärft die Sensibilität für den Umgang mit den höchsten gesellschaftlichen Werten und für die Brisanz einer Handlungsfreiheit, die über Leben und Tod entscheidet. Wonach man nicht fragen darf – ist höchst suspekt.