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Artikel CSU vs. CDU: Das Wettrennen (Ein Kommentar)
Artikel CSU vs. CDU: Das Wettrennen (Ein Kommentar)
Ein Kommentar von Stephan Lamby.
So hat man die Kanzlerin noch nie erlebt. Sie fleht ihre Parteifreunde an: Gebt mir noch zwei Wochen! Horst Seehofer, ihr Rivale seit 2004, lässt sie abblitzen. Gerade mal ein Wochenende soll Merkel noch Zeit haben. Dann müsse klar sein: Abweisung von Flüchtlingen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert wurden – ja oder nein. Merkel oder Seehofer. Koalitionsfrieden oder Koalitionsbruch. Jetzt ist Merkel wieder am Zug: Nicht in zwei Wochen, schon am kommenden Wochenende will sie die Abweisung von Flüchtlingen mit anderen europäischen Regierungschefs vereinbaren. Doch Seehofers Zeitplan ist anders, noch kurzatmiger. Er will sich seinen rasenden Kurs umgehend vom CSU-Vorstand absegnen lassen. Bereits am Nachmittag könnte er die Zurückweisungen an deutschen Grenzen in Eigenregie anweisen. Es geht nicht mehr um Wochen oder Tage. Es geht um Stunden: Wer weist Flüchtlinge am härtesten, am schnellsten ab?
Dann meldet BILD: Seehofer knickt ein, er gibt Merkel doch zwei Wochen Zeit – und erhöht den Druck gleich wieder: Wenn Merkel dann keine befriedigende Lösung präsentiert, wird er die Grenzschließung für registrierte Flüchtlinge anweisen. Die Meldung wird von der CSU prompt dementiert. Wer hat sie in die Welt gesetzt? Wer wirft wem, bei vollem Lauf, Knüppel zwischen die Beine?
Merkel und Seehofer, CDU und CSU, liefern sich ein Wettrennen, wie es die deutsche Politik noch nicht erlebt hat. Um eine Prognose auf den Verlauf des Rennens zu wagen, muss man die Ausgangspositionen der Rivalen kennen. Man muss sich anschauen, wer sonst noch mitläuft im Rennen. Und man muss auf die schreienden Zuschauer auf den Tribünen achten.
– Angela Merkel ist mit schwerem Ballast in dieses Rennen gegangen. Sie trägt die Last nicht nur der deutschen Interessen im Gepäck, sondern auch Abmachungen mit europäischen Partnern. Wenn Flüchtlinge in großer Zahl an deutschen Grenzen abgewiesen werden, stauen sie sich anderswo – in Italien, in Spanien, in Griechenland. Mag sein, dass sich Merkels Mitgefühl in Grenzen hält. Aber sie braucht das Wohlwollen der EU-Partner bei anderen Verhandlungen, etwa bei der Reform der EU-Finanzen. Ob Merkel außerdem noch mit der Schwere ihres eigenen Gewissens („Wir schaffen das“) ins Rennen geht, weiß nur sie selbst.
– Horst Seehofer bestreitet dieses Rennen scheinbar mit weniger Ballast. Als Innenminister lasten die Interessen europäischer Partner geringer auf seinen Schultern. Als CSU-Chef hat er zudem weniger das nationale Ziel (Ordnung an deutschen Grenzen, Integration von Flüchtlingen) vor Augen, sondern vor allem die Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober. Aber Seehofer wird eine andere Last spüren, die auf seinem Rücken unbequem hin und her rutscht. Zwar ist seine Abneigung gegen Merkel offensichtlich („Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“). Doch wird es Horst Seehofer wagen, die Koalition und die Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU platzen zu lassen? Sich damit selbst vielleicht in den politischen Ruhestand zu katapultieren und im anschließenden Chaos den schwarzen Peter in der Hand zu halten? Allein der Gedanke an den Schwarzen Peter wiegt schwer.
– Auf Markus Söder und Alexander Dobrindt ist besonders zu achten. Sie laufen ihr eigenes Rennen. Ohne Skrupel, ohne das Gepäck nationaler oder gar europäischer Interessen. Sie kennen nur ein Ziel: den 14. Oktober. Bei der bayerischen Landtagswahl wird sich entscheiden, ob Söder durch eine absolute Mehrheit gestärkt oder durch eine Niederlage geschwächt wird. Und Alexander Dobrindt spekuliert auf die Nachfolge Seehofers als CSU-Chef. Die beiden glauben sogar, von einem blutigen Wettkampf der Parteichefs in Berlin profitieren zu können und sich als einzig wahre Vertreter der bayerischen Interessen (Bayern first!) in Szene setzen zu können. Folgerichtig treiben sie Merkel und Seehofer von den Außenlinien mit immer kompromissloseren Forderungen an. Wenn am Ende Merkel und Seehofer auf der Strecke bleiben, könnten sie alleine durchs Ziel laufen.
– Die Tribünen sind bei diesem Rennen randvoll. Auf den Rängen sitzen die Koalitionspartner der SPD und die Oppositionspolitiker von Grünen, FDP und Linke. Auch sie schreien. Aber ihr Geschrei verdeckt, dass sie in Wirklichkeit starr vor Angst sind, möglicherweise sehr bald selbst auf die Rennbahn einer Bundestagswahl zu müssen; noch schlechter vorbereitet als beim letzten Mal. Auf der Tribüne sitzen auch Journalisten der Hauptstadtpresse und Blogger der sozialen Medien, die Kommentare im Minutentakt in die Arena brüllen. Einige sind sogar bereit, sich von den Akteuren einspannen zu lassen und Falschmeldungen in die Arena zu rufen.
Die Bürger, die das Wettrennen in ihren Wohnzimmern als Zuschauer und Leser verfolgen, kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie beobachten, wie sich ihre Volksvertreter beim Kampf um Machterwerb und Machterhalt gegenseitig austricksen. Sind die in Berlin so unfähig, ihre übergroßen Egos und Eigeninteressen zu überwinden und die realen Probleme des Landes im zügigen, aber nicht gehetzten Tempo zu lösen? Viele Bürger dürften sich von diesem Rennen angewidert abwenden.
Was niemand der Rivalen in Berlin und Bayern offen zugibt: Das eigentliche Ziel ihres Wettlaufs sind die Wähler der AfD. Sie gilt es zu erreichen. Und zwar vor allen anderen. Doch Gauland, Weidel und Höcke werden von ihnen immer noch schnellere, noch härtere Abschiebungen und Abweisungen fordern. So wie sich die Politiker von CDU und CSU gerade die Lungen aus dem Hals rennen: In diesem Wettlauf sind sie der Hase. Die AfD ist stets vor ihnen am Ziel – als Igel.
Veröffentlicht am: 18.06.2018 in Artikel
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